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Industrieware

Verfasst: Freitag 9. März 2007, 21:59
von madame Alexis
Hallo alle zusammen,

Ich frage mich gerade, aus welchen Massen eigentlich diese 1,99 Kaffebecher hergestellt werden. Immer wenn ich so einen in der Hand habe, denk ich, naja, Keramik isses eigentlich nicht. Auch Porzellan fühlt sich ganz anders an, wenn ein Töpfer seine Finger im Spiel gehabt hat. Ganz zu schweigen von den Glasuren! Kann mich jemand aufklären? :roll:

Verfasst: Freitag 16. März 2007, 16:27
von adelfos
..eine , sagen wir mal eigenartige Frage.

Töpfer, ich meine damit Scheibentöpfer haben beim Porzellan meist nicht die Hand oder andere Körperteile im Spiel.

Als ich nach meiner Fachschulausbildung in einem Porzellanwerk arbeitete da war ich der einzige unter den fast 1000 Beschäftigten mit Töpferausbildung.
Meine Töpferkunst war weder im Geschirrbereich (Hotelporzellan) noch im Sanitärbereich (Vitrous china) gefragt. Ein wenig vor Weihnachten, da machte ich gemeinsam mit dem Betriebsleiter in unserer Freizeit kleine Geschenke in einem sonst unverwendeten Laborraum wo sich auch eine Fußtöpferscheibe befand. Unsere Steinzeugprodukte stellten wir dann in den Schnellbrandofen (Trend) zwischen Bidets oder Waschtische um sie nach nur acht Stunden in Empfang zu nehmen.

Die meisten von euch wissen ja dass Porzellan nicht gleich Porzellan ist. Auch , dass es sehr große Unterschiede zwischen dem (klassischen) leicht transparenten Hartporzellan, dem Hotelporzellan, dem Knochenporzellan, dem Sanitärporzellan und dem Hochspannungsporzellan besteht. Und interessanterweise bei letzterem, beim Hochspannungsporzellan wird (oder wurde) das Töpfern als Vorstufe beim Vorformen von Teilen für sehr große Isolatoren als Formgebungsmethode verwendet.
Alle anderen Porzellane werden gepresst, gestanzt, gegossen, plastisch maschinell geformt , beklebt, bedruckt usw usf. und da ist der Töpfer nicht gefragt. Aber der Silkattechniker, Chemiker, Maschinenbauer, Elekrtiker, Elekroniker, Arbeitstechniker usw.

Was aber sind 1,99 Becher?
Becher um 1,99 Euro?


:D

Verfasst: Freitag 16. März 2007, 22:33
von madame Alexis
Hallo,
erstmal Danke für die Antworten!
Ja, ich meinte Becher für 1,99 Euro.
Ich kenne einige Töpfer, die mit Porzellan arbeiten, weiß auch um die Unterschiede. Hab aber keinen Schimmer von der "Keramik"-Industrie, sehe nur eben einen ganz gewaltigen Qualitätsunterschied (wenn man mal vom Sanitärbereich absieht). Mein Verdacht ist das diese Massenartikel aus irgendner (Trocken?) masse hergestellt werden, die mit dem plastischen Material wenig zu tun hat...Oder liegts eben doch an der Herstellungsweise...ich find das Zeug halt einfach seltsam, auch diese Baumarkt- Gartendeko aus diesem hellroten-rosa zeugs hat wenig Ähnlichkeit mit meinem bunten Steinzeug , selbst meine Schrühware is anders...kanns leider nicht besser beschreiben.....

Verfasst: Samstag 17. März 2007, 12:49
von hille
Ich erinnere mich, in der Berufsschule mit diversen industriellen Formgebungsverfahren geplagt worden zu sein. So schöne Begriffe wie Tassentaktstraße, RAM-Presse, Trockenpressen... Wir mußten das damals lernen und teilweise diese Maschinen zeichnen können. Keine Ahnung, warum. Jedenfalls sind meiner Ansicht nach die einzigen Parallelen zur handwerklichen Verarbeitung, daß das Ausgangsmaterial immer noch Ton oder Kaolin ist, und daß man es immer noch brennen muß. Was dazwischen geschieht, ist wirklich eine ganz andere Welt.
Hille

Verfasst: Sonntag 18. März 2007, 00:02
von Pit
wer mal so ein modernes porzellanwerk von innen sah, weis warum das so billig geht. unvorstellbar... ich habe sogar gesehen das die da extra rechts und linkshänder zum henkeln am band stehen haben, damit es schneller und effektiver geht. das geht fast alles vollautomatisch. selbst schon damals in der DDR. ich hab mal mitte der 80er eine betriebsführung durch "henneberg" in ilmenau mitgemacht. da waren einige firmen die ich dann nach 1989 im westteil des landes gesehen habe - peanuts dagegen...
und dann stelle man sich mal so eine firma in china vor.
kann man wissen das von den 1.99 erstmal die hälfte an den händler geht. dann bestimmt nochmal 10 - 20 cent für den transport... egal welche masse, es wird durch voll automatische taktstrassen hergestellt und gebrannt.

Automatisierte Produktion und lebendes Museum

Verfasst: Sonntag 18. März 2007, 09:06
von adelfos
Die 1,99 Euro Tassen stammen aus einer gewiss zum Grossteil mechanisierten und automatisierten Produktion. Wenn die österreichische Porzellanindustrie vor 35 Jahren schon erste Automaten z.B für das teilweise elektrostatische Spritzglasieren einsetzte und 1972 bereits eine erste Taktstrasse für das automatische Giessen von einfachen Waschtischen, also solche ohne Unterschneidungen (mit Ausnahme des Abhebens der gegossenen Produkte) im Werk Wilhelmsburg betrieb dann läßt sich schon vorstellen dass, wenn schon nicht alle, doch die meisten Arbeitsabschnitte in der Herstellung heute von Robotern durchgeführt werden. Die Steuerung der Glasierroboter im Jahr 1972 erfolgte durch Lochstreifen bzw Magnetbänder - Dinge also, die im "digitalen Zeitalter" uns schmunzeln lassen.

Jene Porzellanwerke die die Automatisierung nicht mitmachten blieben irgendwann "auf der Strecke", so wie es in den 80ern erkennbar war.

Selbst renommierte Porzellanwerke wie die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten http://www.augarten.at/ hatten mit ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und waren vor wenigen Jahren kurz vor dem Aus wurden aber dann doch wieder unterstützt mit Mitteln aus öffentlicher oder halböffentlicher "Hand".

Die billige Tasse, unser Supermarktprodukt, ist oft von überraschender Qualität was die mechanischen und ästethischen Eigenschaften betrifft.
Aber wir dürfen eben nicht vergessen daß nur eine riesige Stückzahl eine solche Produktion ermöglicht. Auch sind nur bestimmte, meist konische Formen billig produzierbar.
Hier sollte der Keramiker mit seiner Einzelstückproduktion oder kleiner Serienfertigung einhaken und Abstand nehmen von allen Formen welche aus plastischen Massen mit einteiligen Formen (sei es Gips oder Metall) hergestellt werden könnten.
Große Gefahr freilich gibt es auch durch gegossene Ware und wieweit das Spritzgußverfahren in der keramischen Industrie heute eingesetzt wird weiss ich leider nicht.

Die Phrase "ach, das ist aber teuer" höre ich in meinem Laden immer wieder und ihr doch auch...oder ?
Wir müssen eingestehen, selbst dem Kunden gegenüber, daß wir preislich mit Industrieware nicht konkurrieren können. Deswegen sollten wir nicht dem Versuch unterliegen ein industrielles Produkt zu kopieren.

Wir Töpfer sind in gewissen Maß lebende Museen in denen eine Formgebungsart, die auf der Töpferscheibe, weiterpflegt wird. Wenn wir uns selbst in dieser Rolle gefallen und die wirtschaftlichen Nachteile (Margarine statt Butter) in Kauf nehmen haben wir die richtige Einstellung welche über vieles hinweghelfen kann.


:D

Verfasst: Sonntag 18. März 2007, 20:30
von madame Alexis
N Abend,
Ja Danke, das ist alles echt interessant.
Ich sehe die Keramik- Industrie auch in keiner Weise als Konkurrenz, damit meine ich, das ich niemals meine Tassen mit denen aus dem Supermarkt vergleichen würde. Es ist einfach was völlig anderes. Das gilt auch für die Kundschaft: Die Supermarkt-käufer finden bei mir nicht viel was ihnen gefällt, und das ist auch gut so.... :)
Ich bin doch keine Tassentaktstraße.

@Hille. Du mußtest tatsächlich Maschinen zeichnen?! haste bestimmt viiel bei gelernt...:wink:

Verfasst: Montag 19. März 2007, 10:53
von Ima
Hi,
ich sitze gerade in meinem Museum und drehe Tassen aus Porzellan.

Aus einer 1,99-Tasse Tee zu trinken wäre für mich, meine Familie und meine Freunde einfach Stilbruch.

Grüß Euch, Ima

Verfasst: Montag 19. März 2007, 13:12
von hille
Hallo Axo,
es war gräßlich! Und mir ist heute noch schleierhaft, was das in einer handwerklichen Ausbildung zu suchen hatte. Keine Ahnung, ob sich da in den vergangenen 15 Jahren was dran geändert hat, aber ich hoffe doch.
Hille

Eine Ergänzung : wie ich lebendes Museum verstehe

Verfasst: Dienstag 20. März 2007, 10:35
von adelfos
Hallo!
Vielleicht habe ich das mit dem "lebenden Museum" nicht richtig rübergebracht. Es tut mir leid wenn das vielleicht sogar ein wenig negativ verstanden wurde. Das hat sicher damit zu tun wie jemand über Museen denkt.
Sicher mein Fehler, deswegen muß ich ein wenig nachhaken und euch sagen, daß für mich Museen keine toten Herzeigeinrichtungen sind sondern so etwas wie ein Fenster in Vergangenheit und Gegenwart, ja manchmal auch in die Zukunft sind. Ein Ort des Lernens und auch Lehrens. Ein Ort der Ruhe und Besinnung und des Stöberns in einer anderen zeitlichen Dimension.
In Museen werden Dinge, oft seltene Kostbarkeiten, aufbewahrt welche von vielen gern gesehen werden.
So habe ich es bislang noch nicht oft erlebt daß Werkstättenbesucher, wenn ich gerade mal an der Scheibe arbeite meist wesentlich länger verweilen als sie es eigentlich vorhatten und durchaus auch ein Gespräch beginnen welches manchmal hochinteressant ist.
Insbesondere hier sehe ich, mal ganz abgesehen von den Produkten, die Faszination einer kleinen Töpferei, auch wenn sie sich am A der Welt befindet.

:D