Kulhar - wirklich nachhaltig?

Wieso, weshalb, warum ...
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Frau Korn
Beiträge: 6
Registriert: Sonntag 24. Februar 2013, 18:34

Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von Frau Korn »

Hallo liebe Keramikgemeinde,

vor kurzem stieß ich auf eine Art Anzeige, in der man Helfer für die Herstellung nachhaltiger Becher suchte.

Der indische Begriff Kulhar ist mir zuvor tatsächlich noch nie untergekommen, daher überflog ich diverse Beschreibungen, die das Internet auf die Schnelle so hergab. Viele davon empfinde ich als extrem schwammig, v.a. was genau die Fragen betrifft, die mir bei dieser Herangehensweise sofort in den Sinn kommen.
Mal heißt es, sie wären eindeutig Irdenware, irgendwo werden auch mal 950 Grad als Brenntemperatur erwähnt, dann wieder werden die Becher als Steinzeug bezeichnet oder man spricht von high temperature. Nun gut.
Überall allerdings wird konsequent auf die biodegradability, also auf die Abbaubarkeit gepocht, die das Ganze eben nachhaltig machen soll.
Die Becher werden nur ein mal benutzt und danach sollen sie "zerbrochen" werden.

Selbst wenn die Temperatur nur bei 950 Grad liegt, ist dieser Energieaufwand, warum auch nicht inklusive Arbeitszeit, wirklich durch diese Abbaubarkeit wettzumachen? Wie abbaubar ist Keramik, die bei 950 Grad gebrannt wurde?

Ist es möglich, daß es hier eine neue Technologie gibt, die von der alten indischen Tradition abweicht und ich hier grundlos misstrauisch bin?

Bin sehr gespannt, was Ihr so dazu sagt.

Viele Grüße in die Werkstätten,
Fr. Korn
madame Alexis
Beiträge: 251
Registriert: Mittwoch 9. März 2005, 17:06

Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von madame Alexis »

Hallo Frau Korn,

Ja, irgendwann hat mir ein Mensch, der mal in Indien war, von diesen niedriggebrannten Bechern erzählt. Die werden einmal benutzt und dann in die Natur geworfen. Ich finde es völlig egal, wie hoch oder niedrig hier gebrannt wird. Etwas, das hergestellt und nur einmal benutzt wird, kann nicht nachhaltig sein. Glaube ich wenigstens... :wink:
Beste Grüße,
Alex
Maria Ortiz Gil
Beiträge: 1012
Registriert: Dienstag 1. März 2016, 13:14

Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von Maria Ortiz Gil »

Genau das meine ich auch! Dass man sonst irgendwo wo kein Problem damit hat, dass Tonscherben in der Gegend herum liegen, kann ja sein. Aber abbauen tun die sich genau so wie ein Blumentopf oder ein alter Dachziegel, nämlich nicht so schnell und nur mechanisch und nicht durch Verrottung, sonst hätten die Archäologen nichts zu finden gehabt.

Gerade bei dem letzten Kalkspatz-Symposium war ein sehr interessanter Vortrag darüber von einem Archäologen, der sagte unter anderem, dass Keramik so ziemlich das ist worauf sie sich beziehen und Rückschlüsse ziehen können, denn alles andere verrottet mehr oder weniger, nur der gebrannte Ton bleibt meistens liegen. Über Jahrtausende! Das ist ja das faszinierende daran, und warum man es überhaupt erfunden hat. Jedem der Keramik herstellt sollte das klar sein, für gut, oder für schlecht.

Nachhaltig ist inzwischen zu einem Wort geworden, dass in meinen Ohren kaum heuchlerischer und verlogener klingen kann.
Maria Ortiz Gil
Beiträge: 1012
Registriert: Dienstag 1. März 2016, 13:14

Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von Maria Ortiz Gil »

Mir fällt noch dazu ein:
An der Praxis des keramischen Einwegbechers sieht man auch, wie wenig eine Arbeitskraft wertgeschätzt wird. Das ist entwürdigend für den jenigen, der diese Becher macht, und wer daraus in der westlichen Welt, auch noch mit mit dem Argument der Nachhaltigkeit ein Geschäft machen möchte handelt nicht gerade menschenfreundlich in verschiedener Hinsicht.
Frau Korn
Beiträge: 6
Registriert: Sonntag 24. Februar 2013, 18:34

Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von Frau Korn »

Sehe ich alles ganz klar genau so wie Ihr beiden.
Umso mehr reizt es mich nun, da demnächst mal anzurufen und nach den Konditionen zu fragen.
madame Alexis
Beiträge: 251
Registriert: Mittwoch 9. März 2005, 17:06

Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von madame Alexis »

Ja, das würde mich auch mal interessieren. Wo hast du diese Anzeige denn gesehen? Vielleicht magst du das mit uns teilen...
Maria, mir geht das wie dir mit dieser Nachhaltigkeit. Alles ist plötzlich nachhaltig und klimafreundlich....
Einen schönen Tag euch !
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Günter
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Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von Günter »

Also ich habe das sogar in einem Film gesehen: am einem Bahnhof in Indien wird Chai verkauft und anstelle von Plastik- oder Papierbechern werden diese traditionellen Einwegbecher verwendet. Die sind so niedriggebrannt, dass sie gerade mal die eine Tasse Tee überstehen, dann landen sie im Schotter und zerfallen wirklich schnell. Gedreht werden sie in Sekunden. Ähnliches war früher übrigens auch in Europa gebräuchlich, als es noch keine Verpackungsindustrie gab: im Westerwald wurden Flaschen für den Transport von Mineralwasser im Akkord gedreht und in Massen im Salzofen gebrannt. Ein guter Dreher hat sowas in weniger als einer Minute fertig gehabt. Nach dem Aufkommen des Pressglases starb das natürlich.
Maria Ortiz Gil
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Re: Kulhar - wirklich nachhaltig?

Beitrag von Maria Ortiz Gil »

Das bedeutet also, dass diese Becher nicht wirklich gebrannt, sondern nur ein wenig gehärtet sind. Bis zu welcher Temperatur löst sich Ton mit Wasser noch auf? Trotzdem bleibt bei Einweg ein recht hoher Energieaufwand.

Dass im Akkord unglaublich schnell gedreht wird ist schon wahr. Aber weshalb setzt man diesen (kapitalistischen) Zeitwert in Relation? Ich weiß, dass es nunmal so gemacht wird. Dass jemand eine bestimmte Arbeit gut machen kann, sollte an sich schon einen Wert haben. Wieso sollte derjenige dafür bestraft werden, wenn er diese Arbeit auch noch schneller machen kann, in dem er dann weniger für seine Produkte bezahlt bekommt? Sollte er für dieses zusätzliche Können nicht eigenentlich mehr bekommen? Wieso werden seine Produkte dann als wertloser betrachtet und als zum Wegwerfen geeignet?
Wir sind es gewohnt, nach den so genannten Gesetzen des Marktes anders herum zu denken, aber es fragt sich, welche die „Verkehrte Welt“ wirklich ist.
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